Welche Therapieform ist für mich die richtige?

Welche Therapieform ist für mich die richtige?

Für AML-Patienten stehen heute verschiedene Therapieoptionen zur Verfügung. Sie unterscheiden sich in ihren Wirkmechanismen, den möglichen Begleiterscheinungen (Nebenwirkungen), dem Therapieziel und den Erfolgsaussichten. Die Entscheidung, welche Therapie für Sie die richtige ist, treffen Sie in Absprache mit Ihrem behandelnden Arzt. Er wird Ihnen erklären, welche Behandlungsmöglichkeiten existieren und mit welchen Nebenwirkungen Sie allenfalls rechnen müssen. In der Folge können Sie gemeinsam mit Ihrem Arzt mögliche Nebenwirkungen dem zu erwartenden Nutzen der Behandlung gegenüberstellen.

Für diese Entscheidung sind der genaue Typ Ihrer AML, Ihre Erwartungen und Wünsche, Ihr Alter und Ihre körperliche Verfassung sowie mögliche Begleiterkrankungen massgebend. So sind gewisse Therapieansätze für bestimmte Unterarten der AML besser geeignet und für andere weniger. Hier spielen die Mutationen und chromosomalen Veränderungen, die in Ihren Krebszellen festgestellt wurden, eine Rolle (siehe dazu „Kleines Glossar zur Erbinformation“).

Die verschiedenen Therapieoptionen unterscheiden sich in ihrer „Intensität“. Intensive Behandlungen bedeuten für Sie als Patient eine höhere Belastung, weil sie zum Beispiel mehr Nebenwirkungen mit sich bringen. Auch die Dosis und die Häufigkeit, in welcher ein Wirkstoff verabreicht wird, bestimmt, wie intensiv – oder eben belastend – eine Therapie für Sie ist.

Ob eine intensive Therapie für Sie der richtige Weg ist, entscheiden Sie in enger Abstimmung mit Ihrem behandelnden Arzt. Beim Entscheid sind verschiedene Faktoren – medizinische und nicht-medizinische – zu berücksichtigen. Ihr persönlicher Wunsch spielt eine wichtige Rolle, aber beispielsweise auch Ihr Alter. Denn mit fortschreitendem Alter steigt das Risiko, Komplikationen zu erleiden oder gar an Komplikationen, die durch die Therapie selbst verursacht wurden, zu versterben. Eine weniger belastende Therapie ist daher vor allem dann sinnvoll, wenn Sie aufgrund fortgeschrittenen Alters oder bestehender Vorerkrankungen so geschwächt sind, dass Sie eine intensive Therapie übermässig stark belasten würde. Im Folgenden erfahren Sie, welche Möglichkeiten für intensive und weniger belastende Therapien zur Verfügung stehen.

Therapieoptionen für intensiv-behandelbare Patienten

Zwei Phasen

In der Regel erfolgt die Behandlung der AML in zwei Phasen: Zuerst wird die Induktionstherapie durchgeführt, anschliessend erfolgt die Postremissionstherapie. Beide Phasen verfolgen unterschiedliche Behandlungsziele.

Induktionstherapie

Ziel der Induktionstherapie ist die komplette Remission, also das vollständige Zurückdrängen der Leukämiezellen. Klassischerweise wird in der Induktionstherapie bei AML eine intensive Chemotherapie eingesetzt, häufig auch in Kombination mit zielgerichteten Wirkstoffen, die bei bestimmten AML-Typen wirksam sind. Bei jüngeren und körperlich belastbaren Patienten kommt die intensive Chemotherapie standardmässig zum Einsatz. Aber auch Patienten höheren Alters können unter Umständen von ihr profitieren. Weil eine intensive Chemotherapie, speziell bei älteren Patienten, eine hohe Belastung darstellt und auch Risiken mit sich bringt, ist dieser Entscheid gut abzuwägen. Es gilt auch zu berücksichtigen, welche Optionen in der anschliessenden Postremissionstherapie für Sie infrage kommen. Denn beide Phasen müssen aufeinander abgestimmt sein. Aufgrund der Komplexität dieser Therapieentscheidungen ist es sehr zu empfehlen, dass Sie sich als AML-Patient in die Obhut eines spezialisierten hämatologischen Zentrums begeben.

Chemotherapie
Als Chemotherapie wird die medikamentöse Behandlung mit sogenannten Zytostatika bezeichnet. Diese Medikamente hemmen die Zellteilung, so auch die Teilung und damit die Vermehrung der Krebszellen. Durch die Chemotherapie sinkt die Anzahl der Krebszellen im Knochenmark und es wird wieder eine gesunde Blutbildung möglich. Doch auch gesunde Zellen, die sich häufig teilen, werden durch die Chemotherapie geschädigt, wie z.B. die Zellen der Mund- und Darmschleimhaut, der Haarwurzeln oder die Blutzellen. Als Nebenwirkungen sind demnach Durchfall, Haarausfall oder Blutarmut (Anämie) zu beobachten. Einige dieser Symptome sind behandelbar. Zum Beispiel helfen sogenannte Antiemetika vorbeugend gegen Übelkeit und Erbrechen.

Die Chemotherapie ist die häufigste Induktionstherapie. Je nachdem, welcher genetischen Unterkategorie die AML aufgrund der diagnostischen Untersuchungen zugeordnet wurde, kann die Chemotherapie mit weiteren Substanzen, die sich gezielt gegen die krankmachende genetische Veränderung richten, kombiniert werden. Weitere Fragen zur Chemotherapie bei AML und zu möglichen Nebenwirkungen kann Ihnen Ihr behandelnder Arzt oder das Pflegeteam beantworten.

Postremissionstherapie

Die Postremissionstherapie (auch Konsolidierungstherapie genannt) hat zum Ziel, die mit der Induktionstherapie erreichte Remission langfristig zu erhalten. Ohne eine solche Therapie ist zu erwarten, dass die AML relativ rasch wieder zurückkehrt, es also zu einem sogenannten Rezidiv kommt.

Die Postremissionstherapie bei AML besteht meist entweder in einer Fortsetzung der Chemotherapie oder in einer Blutstammzelltransplantation. Ihr behandelnder Arzt wird die verschiedenen Therapieoptionen mit Ihnen besprechen. Wichtige Faktoren beim Entscheid sind Ihre körperliche Verfassung sowie die genauen Eigenschaften Ihrer AML.

Chemokonsolidierung

Meist werden bereits im Rahmen der Induktionstherapie Zytostatika eingesetzt. Dieselben Wirkstoffe können teilweise auch für die anschliessende Postremissionstherapie verwendet werden. Gerade eher jüngere AML-Patienten (unter 60 Jahren) und Patienten in guter körperlicher Verfassung können mit hoher Wahrscheinlichkeit unter dieser Therapie eine langfristige Remission erreichen.

Stammzelltransplantation

Als Stammzelltransplantation wird die Übertragung von Blutstammzellen (hämatopoetische Stammzellen) von einem Spender an einen Empfänger bezeichnet. Blutstammzellen sind die Mutterzellen aller Blutzellen. Im Knochenmark sind sie für die Bildung der roten (Erythrozyten) und weissen Blutkörperchen (oder weissen Blutzellen, Leukozyten) sowie der Blutplättchen (Thrombozyten) verantwortlich. Weil bei einer AML-Erkrankung keine gesunde Blutbildung mehr möglich ist, erhalten Betroffene im Rahmen der Stammzelltransplantation neue Blutstammzellen. Diese können dann wieder neue, gesunde Blutzellen, also Erythrozyten, Leukozyten und Thrombozyten, bilden.

In der Regel stammen die transplantierten Blutstammzellen von einem Spender, man spricht von einer allogenen Stammzelltransplantation. In seltenen Fällen werden AML-Patienten eigene Blutstammzellen entnommen und später wieder eingesetzt. Wenn Spender und Empfänger dieselbe Person sind, spricht man von autologer Stammzelltransplantation.

Allogene Stammzelltransplantation
Bei der allogenen Stammzelltransplantation kommen Blutstammzellen eines gesunden Spenders zum Einsatz. Beim Spender kann es sich sowohl um eine verwandte als auch um eine fremde Person handeln. Für eine Stammzellspende müssen bestimmte Gewebemerkmale von Spender und Empfänger übereinstimmen. Das ist unter nahen Verwandten wahrscheinlicher als bei fremden Personen. Steht kein naher Verwandter zur Verfügung, ist der Betroffene auf eine Fremdspende angewiesen. Um in diesem Fall die Chancen auf eine Transplantation zu erhöhen, ist eine sehr grosse Anzahl potenzieller Spender nötig. Diese können sich in Spenderdatenbanken registrieren lassen.

Vor der Übertragung der Spenderzellen auf den Empfänger ist es nötig, die körpereigenen Blutstammzellen des Empfängers mit einer Hochdosis-Chemotherapie (allenfalls zusätzlich mit einer Ganzkörperbestrahlung) zu zerstören. Denn das Immunsystem des Empfängers würde die Spenderzellen als fremd erkennen und mit einer Abstossung der fremden Stammzellen reagieren.

Nach erfolgter Transplantation ersetzen die neuen, gesunden Stammzellen des Spenders die kranken Stammzellen des Empfängers und finden ihren Weg ins Knochenmark. Da sich aus den Blutstammzellen die Blutzellen und damit auch das Immunsystem entwickelt, erhält der Empfänger neben einem neuen blutbildenden System auch ein neues Immunsystem. Dieses kann unter Umständen dabei helfen, im Körper verbliebene Krebszellen zu erkennen und zu eliminieren. In einigen Fällen kann die Erkrankung so unter Kontrolle gehalten oder gar geheilt werden.

Risiken der Stammzelltransplantation
Die allogene Stammzelltransplantation ist körperlich sehr belastend und zeitintensiv. Die Behandlung kann mit Nebenwirkungen oder Komplikationen verbunden sein. So kann es unter Umständen zu einer sogenannten Transplantat-gegen-Wirt-Erkrankung (Engl. graft-versus-host-disease) kommen. Die Immunzellen des Spenders richten sich dann gegen den Körper des Empfängers. Mögliche Reaktionen treten hauptsächlich an Haut, Leber oder Darm des Betroffenen auf. Um solchen Problemen vorzubeugen oder sie zu mildern, werden häufig Medikamente eingesetzt, die das Immunsystem unterdrücken. Dadurch kann über die Transplantation hinaus ein erhöhtes Infektionsrisiko bestehen (siehe Kapitel „Supportive Therapie“). Die Stammzelltransplantation kommt deshalb in der Regel nur für Betroffene in Frage, die entsprechend kräftig und fit sind. Über die Stammzelltransplantation und mögliche Nebenwirkungen informiert Sie Ihr behandelnder Arzt im persönlichen Gespräch. Er unterstützt Sie dabei, die Chancen und Risiken dieser Therapie für Sie persönlich abzuwägen und eine Entscheidung zu fällen, die für Sie die richtige ist.

Therapieoptionen für Patienten ohne intensive Therapiemöglichkeit

Patienten mit einem Alter von über 75 Jahren sind oftmals zu geschwächt, um die Belastung einer intensiven Chemotherapie bewältigen zu können. Auch bei jüngeren Patienten kommt es vor, dass eine intensive Chemotherapie aufgrund von Begleiterkrankungen wie beispielsweise dem diabetischen Spätsyndrom, Leber-, Nieren- oder Herzerkrankungen, nicht möglich ist. Ihr behandelnder Arzt wird mit Ihnen gemeinsam unter Berücksichtigung Ihrer Wünsche und Ihrer körperlichen Verfassung erörtern, ob eine weniger intensive Therapieform für Sie der sinnvollere Weg ist. Die weniger intensiven Behandlungen haben das Ziel, das Leben der Patienten zu verlängern und ihnen gleichzeitig eine möglichst hohe Lebensqualität zu bieten. Die Entwicklung neuer, zielgerichteter Wirkstoffe hat hier in den letzten Jahren bereits zu grossen Fortschritten geführt. Um eine AML zu heilen, ist aber in den meisten Fällen eine intensive Therapie notwendig.

Zielgerichtete Therapien

Zytostatika zerstören Zellen, welche sich häufig teilen. Dies schliesst, wie weiter oben erläutert, auch gesunde Zellen ein und kann belastende Nebenwirkungen verursachen. Neue, zielgerichtete Wirkstoffe hingegen richten sich nicht gegen die Zellteilung, sondern gegen Prozesse, die für das Überleben von Tumorzellen wichtig sind. So gibt es zum Beispiel Wirkstoffe, die gezielt ein bestimmtes Protein abschalten, das Tumorzellen nutzen, um ihren eigenen Zelltod zu verhindern und sich weiter zu vermehren.

Verträglichere Zytostatika

Hypomethylierende Substanzen
Bei Krebserkrankungen kommt es oft zu einer gehäuften Anlagerung von sogenannten Methylgruppen an die DNA der Krebszellen. Durch diese DNA-Methylierung werden Gene abgeschaltet, welche für die Entwicklung von gesunden Zellen benötigt werden und der Entstehung von Tumorzellen entgegenwirken. Es gibt Wirkstoffe, die diese Vorgänge blockieren, indem sie die Methylierung verringern oder sogar verhindern. Man bezeichnet solche Wirkstoffe darum als hypomethylierende Substanzen (griechisch hypo: weniger). Die Wirkstoffe kommen bereits seit vielen Jahren zum Einsatz und werden klassischerweise allein, aber neuerdings auch in Kombination mit zielgerichteten Therapien angewendet.

Niedrig dosierte Chemotherapie
Gewisse Zytostatika, die bei körperlich belastbaren Patienten in hoher Dosierung als intensive Chemotherapie eingesetzt werden, kommen auch bei Patienten mit eingeschränkter körperlicher Verfassung zur Anwendung – hier allerdings in niedriger Dosierung. Solch eine niedrig dosierte Chemotherapie kann allein eingesetzt werden. Sie wird aber zunehmend mit zielgerichteten Substanzen kombiniert. Welche Substanz oder Wirkstoffkombination für Ihre Erkrankung am vielversprechendsten ist, wird Ihr behandelnder Arzt mit Ihnen auf der Grundlage Ihrer individuellen Situation erörtern.

Beurteilung des Therapieerfolgs und Prognose

Komplette Remission

Die komplette Remission (engl. complete remission, CR, oder auch komplettes Ansprechen) ist das bestmögliche Therapieergebnis. Es ist dann erreicht, wenn die Krebszellen (Leukämiezellen oder Blasten) im Knochenmark nur noch einen sehr kleinen Teil aller Zellen ausmachen (weniger als 5%) und die gesunden Zellen wieder in ausreichend hoher Zahl vorhanden sind. Im Blut sind überhaupt keine Blasten mehr nachweisbar.

Teilweise Remission

Unter einer teilweisen oder partiellen Remission (engl. partial remission, PR, oder auch teilweises Ansprechen) versteht man eine therapiebedingte Reduktion der Krankheitszeichen im Knochenmark und im Blut. Die Blasten im Knochenmark haben im Vergleich zum Zeitpunkt der Diagnose um mindestens die Hälfte abgenommen und machen dort noch höchstens 25 Prozent aller Zellen aus. Das Gleichgewicht der gesunden Zellen ist zumindest teilweise wieder hergestellt. Im Blut sind überhaupt keine Blasten mehr nachweisbar.

Beurteilung des Therapieerfolgs und Prognose

Es ist nicht nur wichtig, die richtige, auf Sie abgestimmte Therapie zu finden. Es muss auch beurteilt werden, ob die gewählte Therapie den erhofften Erfolg zeigt. Was als «Erfolg» zu werten ist, unterscheidet sich von Patient zu Patient. Denn wie oben beschrieben gibt es verschiedene Formen von AML und nicht jeder Patient bringt dieselben Voraussetzungen für die Therapie mit. Entsprechend muss auch für jeden Patienten ein auf seine Situation abgestimmtes Therapieziel festgelegt werden.

Im Idealfall lässt sich der Gesundheitszustand eines AML-Patienten langfristig stabilisieren. Das bedeutet, dass sich sein Blutbild normalisiert hat und dass er symptomfrei leben kann. Glücklicherweise ist das heute für immer mehr AML-Patienten der Fall. In den letzten Jahrzehnten wurden in der Behandlung der AML nämlich deutliche Fortschritte erzielt. Noch vor 50 Jahren war die Krankheit gänzlich unheilbar. Heute können von den Patienten, die 60 Jahre oder jünger sind, mittels intensiver Therapie im Durchschnitt 35 – 40% langfristig geheilt werden. Leider nimmt die Heilungschance mit zunehmendem Alter des Patienten ab. Bei den Über-60-Jährigen beträgt sie, ebenfalls unter intensiver Therapie, im Durchschnitt noch 5 – 15%.

Generell gilt: Je stärker die Krebszellen zurückgedrängt werden und je besser sich das normale Gleichgewicht der verschiedenen Blutzellen wieder eingestellt hat, desto höher stehen die Chancen, langfristig gesund zu bleiben. Darum beurteilt Ihr behandelnder Arzt nach Abschluss der AML-Therapie nicht nur Ihr körperliches Befinden (Krankheitssymptome), sondern auch bestimmte Eigenschaften Ihres Blutes und Knochenmarks. Basierend auf diesen Befunden nimmt er eine Einteilung in zwei Kategorien vor, um den Erfolg Ihrer Behandlung auszudrücken:

Supportive Therapie

Supportive Therapie

Die Lebenserwartung von AML-Patienten hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert. Dies ist unter anderem auch den Verbesserungen in der sogenannt supportiven Therapie (Englisch: best supportive care, BSC) zu verdanken. Sie wirkt nicht direkt auf die Krebserkrankung, sondern unterstützt die Krebstherapie, indem sie mithilft, die Nebenwirkungen der Behandlung, aber auch gewisse Krankheitssymptome, zu mindern. Auch bei Patienten, die sich aufgrund ihres Alters, ihres schlechten Allgemeinzustandes oder anderer Gründe gegen eine intensive Krebsbehandlung entscheiden, ist die supportive Therapie sehr wichtig.

Das Ziel der supportiven Therapie ist die Lebensverlängerung mit möglichst guter Lebensqualität. Wichtige Bestandteile der supportiven Therapie sind zum Beispiel die Prophylaxe und die Behandlung von Infektionen, die Behandlung der Müdigkeit, der Übelkeit und von allfälligen Komplikationen mit der Verdauung. All diese Massnahmen helfen mit, Ihnen als AML-Patient unter der Behandlung eine möglichst gute Lebensqualität zu ermöglichen.